: Aspekte toponymischer Volksetymologie: Das Beispiel des Kantons Bern (deutschsprachiger Teil). . Tübingen 2011 : A. Francke Verlag, ISBN 978-3-7720-8420-1

: Suffixbildung im bernischen Namengut. Die Diminutiva auf -ti, -elti, -etli, und die Kollektiva auf -ere. Ein Beitrag zur Namengrammatik. Basel 2012 : Schwabe Verlag, ISBN 978-3-7965-2850-7 296 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Weber Berchtold

Erfreulicherweise kann heute über zwei in Buchform erschienene Dissertationen berichtet werden, die auf der Grundlage des Ortsnamenbuches des Kantons Bern
unterLeitung der für dieses grosse Werk verantwortlichen Germanistin Prof. Dr. Elke
Hentschel erarbeitet wurden.

Als Erstes sei die Studie über Volksetymologie in Orts- und Flurnamen von This Michel Fetzer erwähnt. Hier versucht der Autor zuerst eine Annäherung an die Frage, was Volksetymologie eigentlich sei. Ist die Deutung eines Wortes, das man zwar braucht, dessen Ursprung man aber nicht wirklich kennt, einfach in die «Schmunzelecke der Sprachwissenschaft» zu verweisen, weil dabei oft ein fremder und möglicherweise unpassender Sinn entsteht? Nach einem einleitenden und abgrenzenden ersten Teil stellt der Autor die Geschichte der wissenschaftlichen etymologischen Forschung im Überblick sorgfältig dar. Die vorliegende Arbeit will zeigen, dass Volksetymologien nicht nur Erscheinungen amüsanter Sinnentstellungen sind, wie man es in den ersten zweihundert Jahren wissenschaftlicher etymologischer Forschung angenommen hat. Die Frage, ob ernsthaftere Überlegungen zum Phänomen der populären Wort- und Namensdeutung möglich sind, ist in den letzten Jahrzehnten vermehrt zum Gegenstand der Forschung geworden.

Aus dem grossen Schatz der Toponyma, die im Ortsnamenbuch des Kantons Bern zu finden sind, schöpft der Autor in reichem Masse im dritten, umfangreichsten Teil der Arbeit. Längst Bekanntes und noch mehr Unbekanntes ist hier zu finden. Etwa der Name Münchringen, der um 1260 Munderchingen gelautet hat, das Dorf des Munderich. Schon um 1300 heisst der Ort Münerkingen, weil der Name des ersten Siedlers längst nicht mehr im Gebrauch ist. Und schon 1312 ist Münchringen zu lesen, «bei den Ringen des Mönchs». Nach systematisch aufgezählten Arten des volksetymologischen Ansatzes folgen Betrachtungen zum Überleben von voralemannischen Namen im germanischen Umfeld und zur Bedeutung der Verschriftlichung. Sowohl der Kartograph Thomas Schöpf in der frühen Neuzeit wie auch Carl Jakob Durheim um die Mitte des 19. Jahrhunderts mussten Namen, die vorher kaum schriftlich festgehalten waren, auf schreiben. Dass bei Durheim das mundartliche Meentl zu Emdthal wird, überrascht noch heute, wird aber dadurch nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass das benachbarte Heistrech schon kurz vorher zu Heustrich geworden ist. Die Begriffe aus der Graswirtschaft waren eben bekannter als das alte Wort Heister (frz. hêtre «Buche»). In dieser grossen Untersuchung fehlen auch die Sagen nicht, die den unverständlich gewordenen Namen eine Erklärung liefern. So etwa der Drache im Aaretal, der auf den Ruf eines Beherzten «Wiich, Drach!» verschwunden ist. Und seither heisst das Dorf Wichtrach. Ein kurzes Kapitel widmet der Verfasser der Umsetzung von Gemeindenamen in Wappen, wo die populäre Erklärung des Namens im echten Sinne des Wortes augenfällig wird.

Im vierten Teil stösst der Autor in ein bisher unbearbeitetes Gebiet vor. Er untersucht durch Befragung von Testpersonen, wie volksetymologische Wortdeutungen entstehen.

Der fünfte Teil, ein Ausblick, zeigt, dass kaum ein nicht simpel erklärbarer Name einer volksetymologischen Deutung entgeht. Und vor allem wird die Frage gestellt, welche populären Deutungen es nicht gibt und was wohl der Grund dafür sein mag.

Im Ganzen gesehen liegt ein für die an sprachlicher Entwicklung und Erklärung Interessierten höchst aufschlussreiches Buch vor. Es wird aber kaum den Weg ins Bücherregal vieler Berner finden, da eine Grundvoraussetzung eines wissenschaftlichen Buches, das für die Hand des Laien bestimmt ist, entfällt: Es fehlt ein Glossar, das die vielen sprachwissenschaftlichen Begriffe allgemein verständlich erklärt. Schade für die grosse Arbeit, der man gerne eine weitere Verbreitung gewünscht hätte.

Und noch ein Wunsch aus der Sicht des Schreibenden: Es ist zu hoffen, dass die vorliegende Dissertation den Anfang zu einer weiteren Reihe von Arbeiten zur Volksetymologie bildet. Als Beispiel diene die Frage, wie bei der Schaffung von Familienwappen im 18. und 19. Jahrhundert die jeweiligen Namen interpretiert und einer bildlichen Darstellung zugänglich gemacht wurden. Zu einer solchen Untersuchung ist unsere Universität ganz besonders aufgerufen, weil einerseits die Freiheit des Schweizers, sich ein Familienwappen ohne fürstliche Erlaubnis zuzulegen, ein grosses Untersuchungsmaterial liefert und weil andererseits mehr als drei Viertel aller Schweizer Schliffscheiben mit Familienwappen aus dem Kanton Bern stammen.

Auch die zweite in Buchform erschienene Dissertation, die auf der Grundlage des Ortsnamenbuches des Kantons Bern erarbeitet wurde, kann hier vorgestellt werden. Es ist Roland Hofers Untersuchung über bernische Orts- und Flurnamen, die auf die verkleinernden Endungen - ti, - elti und - etli ausgehen, sowie über jene, die als Sammelbegriffe mit der Endung - ere zu verstehen sind.

Nach einer übersichtlichen Darstellung von Thematik, Ziel und Methodik der Untersuchung stellt sich für den Autor wie für alle, die Schweizer und besonders Berner Dialekte schriftlich festhalten wollen, die Crux der Transkription, die aber gut gemeistert wird. In einem ersten Teil, der sich mit den Diminutivendungen befasst, findet sich in den Grundlagen eine kurze Darstellung der Forschungsentwicklung zum Thema. Dass sich schon die Brüder Grimm zu den Schweizer Diminutiven auf - ti geäussert haben, muss nicht verwundern, war doch Wilhelms Frau Dorothea eine geborene Wild, eine Berner Patrizierin, die auch im fernen Norddeutschland die Sprache ihres in Kassel ansässigen Vaters und ihrer Grosseltern bewahrte. Es folgen, alphabetisch nach den Grundwörtern geordnet, Listen für die drei untersuchten Endungen, denen sich Kartenmaterial zu ihrer geographischen Verteilung anschliesst. Mit einiger Verwunderung stellt man fest, dass gut ein Drittel der bekannten Orts- und Flurnamen mit - etli-Endungen nur noch historisch belegt sind. Fast ausnahmslos liegen die verschwundenen Bezeichnungen im Mittelland und im Voralpengebiet.

Den Schluss dieses Teiles der Untersuchung bildet ein Exkurs zu den Diminutiven, die in den skandinavischen Sprachen wie auch im Angelsächsischen fast vollständig fehlen, die aber weiter im Süden immer häufiger werden. Leider gibt es bei den Ortsnamen keine so skurrilen Erscheinungen wie jene, dass im engeren Berner Oberland die Arme selbst eines Schwingerkönigs als Ärmli bezeichnet werden.

In weitaus «schwierigerem Gelände» bewegt sich der Autor im zweiten, grösseren Teil der Arbeit, wo es um die Endung -ere geht. Das Problem ist hier, dass die auf Romanisch - aria zurückgehende Endung zwar Kollektive bezeichnet, dass aber die gleiche Endung sich auch mit oft leicht negativer Konnotation aus anderen Feminina ableiten kann (d Müllere, bis aaständig! d Frou Müller). Der Autor meistert das Problem, indem er sehr sorgfältig einzelne Möglichkeiten unterscheidet: Er schreibt von primären - ere-Bildungen auf der Basis von Pflanzen- oder Tiernamen bzw. der Bodenbeschaffenheit. Als Beispiele sollen hier Nesslere, Gaaggere und Lättere dienen, Gegenden wo viele Nesseln wachsen, viele Krähen vorkommen oder wo der Boden lehmig (lättig) ist. Als sekundäre - ere-Bildungen bezeichnet er Namen, die auf Verben, Adjektive oder Flur- bzw. Ortsnamen zurückgehen und den auf - aria fussenden Namen nachgebildet sind. Als Beispiel: Der Platz, wo die aareabwärts fahrenden Schiffe unterhalb der Schwelle ablegten und die von unten Ankommenden im Widerwasser landeten, hiess bis ins späte 19. Jahrhundert Landere. Umfangreiches Material liefern von Äbischere bis Zürchere die Flurnamen, die auf Personen- oder Familiennamen zurückgehen. Als besondere Gruppe scheidet der Autor Namen aus, die auf den Dativ Plural eines männlichen Wortes zurückgehen, wie etwa Houere, bei dem Holder (Holunder) zugrunde liegt. Eine lange Liste von nicht eindeutig kategorisierbaren Flurnamen schliesst diesen Teil ab. Auch hier folgt eine namengeographische Aufstellung, deren Kartenmaterial wieder den unglaublichen Reichtum unserer Sprache erkennen lässt.

In einem Ausblick weist der Autor am Schluss darauf hin, wo weitere Ansätze zur Erforschung der Entwicklung deutschschweizerischer Orts- und Flurnamen liegen könnten. Insbesondere hebt er die Notwendigkeit vertiefter phonetischer und phonologischer Untersuchungen hervor, ebenso die Einbeziehung frankoprovenzalischer und alpinlombardischer Namensforschung. Der umfangreiche Anhang weist auf gedruckte und ungedruckte Quellen und enthält glücklicherweise auch ein Stichwortverzeichnis, nach dem man die vom Autor vorgeschlagene Deutung vieler Namen finden kann.

Was für die Hand des Laien leider auch hier fehlt, ist ein Glossar. Es ist schade, dass bei einer Publikation, die dem sprachlich Interessierten vieles zu bieten hat, wenig Rücksicht auf die nicht sprachwissenschaftlich gebildete Leserschaft genommen wird. Die Zeit, als ein Wissenschaftler in Misskredit geriet, nur weil er seine Publikationen auch für ein weiteres Publikum verständlich machte, dürfte doch endgültig vorbei sein.

Zitierweise:
Berchtold Weber: Rezension zu Fetzer, This Michel: Aspekte toponymischer Volksetymologie: Das Beispiel des Kantons Bern (deutschsprachiger Teil). Tübingen: Francke 2011. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 75 Nr. 3, 2013, S. 51-54.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 75 Nr. 3, 2013, S. 51-54.

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